Unsere Wirtschaft ist nicht auf Vollbeschäftigung ausgerichtet. Eine kleine Rate arbeitsloser Menschen ist politisch gewollt: Sie können bei Konjunkturschwankungen flexibel und günstig eingesetzt werden. Arbeitslosigkeit und Armut wird entgegen dieser gesellschaftlichen Tatsache zum persönlichen Problem erklärt. Und dies oft mit einer ideologischen Vehemenz, die ein bestürzendes Menschenbild offenbart: “Menschen sind faul, egoistisch und arbeiten nur unter maximalen Zwang.”
Dies widerspricht zwar jeden Fakten, der Mythos aber bleibt. Und er liefert die moralische Rechtfertigung dafür, armen Menschen ihre Würde abzusprechen – und die Sozialhilfe schrittweise zu einem System der Gängelung und Kontrolle umzubauen. Während wir bei jeder Gelegenheit nach Eigenverantwortung rufen, bilden arbeitslose Menschen offenbar eine Ausnahme: Deren Handlungsspielraum wird durch institutionelle Demütigung und selbstgefällige Gesetze zunehmend eingeschränkt. Das führt zwar nicht zu einer Arbeit, dafür zu Desillusionierung und Unzufriedenheit. Womit sich das bedenkliche Menschenbild selbst bestätigt. Mit einem Hauch mehr Vertrauen in unsere Mitmenschen könnte diese Spirale auch umgekehrt ausfallen – doch die Änderung des Sozialhilfegesetzes nimmt leider den destruktiven Weg. Es braucht nun eine Koalition der Vernunft, die sich mit Stärke gegen das beschämende Gesetz stellt: Die christlichen und sozialen Kräfte aus Nächstenliebe oder Gerechtigkeit, wissenschaftsvertrauende Menschen aus ökonomischen Überlegungen. Und es braucht den Mittelstand, welcher der absoluten Armut sehr viel nähersteht, als dem Reichtum – und sich fragt, wie sinnvoll es ist, zwei Zentimeter unterhalb seiner Standfläche einen Keil in die Gesellschaft zu treiben.
Nathan Diaz Zeugin, SP